Fachtagung 2022

Fachtagung 2022

Mit dem Fahrrad in die Zukunft

Die Visionen zum Radfahren in Deutschland sind nicht schwer: Diese Art der Fortbewegung im Straßenverkehr wird zukünftig an Bedeutung gewinnen. Treibende Kräfte sind die Bedrohungen durch den Klimawandel, die zu befürchtende Energieknappheit und die von den demokratischen Parteien angestrebte Mobilitätswende. Doch neben solchen Zwängen schätzen immer mehr Menschen die Vorteile des Radfahrens: Mit dem „richtigen“ Rad oder Pedelec macht es Spaß, es hält fit, entlastet die Umwelt und hilft, Geld zu sparen, wenn das Auto auf Strecken bis zu zehn Kilometern immer häufiger stehen bleibt – in der Stadt und auf dem Land. Allerdings muss die Radinfrastruktur zum Radeln einladen. Sie muss geeignet sein für Jung und Alt, für die Radkurierfahrt wie für den Sonntagsausflug mit der Familie.

Diesen visionären Überlegungen und vielen anderen Fragen aus Wissenschaft, Gesetzgebung und Politik widmete sich unsere Fachtagung Mit dem Fahrrad in die Zukunft am 14. September 2022 in der Neuen Messe Rostock.

Die Vorträge in der Zusammenfassung

Hans-Joachim Hacker forderte, dass alles Mögliche getan werden müsse, um die Zahl der Getöteten und Verletzten weiter zu senken. „Während der motorisierte Straßenverkehr im Laufe der letzten 40 Jahre kontinuierlich sicherer wurde, gilt dies für den Fahrradverkehr mit rund 400 Getöteten pro Jahr nicht“, betonte der Präsident der Landesverkehrswacht das Ausmaß der Gefährdung. „Eine Reduzierung der Geschwindigkeiten innerorts durch eine Regelgeschwindigkeit von 30 km/h wäre ein sinnvoller und effektiver Beitrag, um die Sicherheit von zu Fuß gehenden und Rad fahrenden, ungeschützten Verkehrsteilnehmerinnen und Verkehrsteilnehmern zu erhöhen.“ Dem Eigenschutz und dem Schutz anderer würde laut Hacker auch die Einführung eines Bußgeldtatbestandes für das Radfahren unter Alkoholeinfluss ab 1,1 Promille dienen.

Landesinnenminister Christian Pegel wies darauf hin, dass Menschen, die mit dem Rad unterwegs sind, zu den schwächsten Verkehrsteilnehmern gehören. „Oberstes Ziel der polizeilichen Verkehrssicherheitsarbeit ist es, die Zahl schwerer Unfälle zu reduzieren und Unfallfolgen zu minimieren. Dazu tragen Verkehrsüberwachung, eine sinnvolle Gestaltung des Verkehrsraums sowie Verkehrserziehung und -aufklärung bei. Und bei den Radfahrern das Tragen eines Helms. Der kann Leben retten, egal, ob Sie komplett auf eigene Körperkraft setzen oder mit elektrischer Unterstützung radeln“, sagte der Minister und Befürworter der Helmpflicht.

Gunnar Fehlau von der pressedienst-fahrrad GmbH in Göttingen beschrieb den historischen Werdegang des Fahrrades von den ersten aus Holz und Eisen gebauten Exemplaren über die Draisine bis zum modernen Fahrrad, vom Sportgerät zum Fahrzeug für die alltägliche Mobilität, vom Draht-Esel zum Carbon-Bike sowie den langen Weg zum E-Bike. Auch einige Auswüchse des Fahrradbaus, etwa das Bonanza-Rad, fanden Erwähnung unter der Rubrik „Firlefanz statt Funktion“. Neuere Entwicklungen wurden beschrieben wie das Lastenrad und das Cargobike, das durchaus einen Zweitwagen ersetzen könne. Unterm Strich: Es gibt für nahezu jeden Mobilitätswunsch das dazu passende Fahrrad, für Freizeit, Beruf, Sport und Hobby, was sich auch in den gestiegenen Verkaufszahlen widerspiegelt und in der zunehmenden Akzeptanz in der Bevölkerung. Fehlaus Botschaft lautet verkürzt: Die Fahrradbranche hat geliefert, das Velo ist in jeder Hinsicht ein Produkt auf Augenhöhe der Zeit, in seiner elektrifizierten Form das führende Individual-E-Verkehrsmittel und in allen Belangen Teil der Antwort auf die Frage nach einer zukunftsgerichteten Mobilität, die individuelle, gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Anforderungen praktikabel verbindet. Jetzt gelte es, den gesetzlichen, kulturellen und räumlichen Rahmen für dessen Entfaltung zu schaffen.

Roland Huhn forderte mehr Spielraum für Kommunen, wenn es darum geht, Konfliktsituationen durch eine bessere Straßengestaltung zu entschärfen. Der Rechtsreferent beim Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) empfahl dem Gesetzgeber, die Ziele des Straßenverkehrsgesetzes sowie die Straßenverkehrsordnung so zu verändern, dass präventive sowie proaktive Maßnahmen und Gestaltungen leichter möglich werden. Denn das gegenwärtige Straßenverkehrsrecht lasse Radverkehrsanlagen oft nur dann zu, wenn sich Unfälle ereignet haben und nicht vorsorglich und zur Förderung des Radverkehrs. Ein modernes Straßenverkehrsrecht orientiere sich an den Bedürfnissen aller Menschen, die am Straßenverkehr teilnehmen und stelle Gemeinwohl, Verkehrssicherheit, Aufenthaltsqualität und Klimaschutz sowie eine gesunde nachhaltige Stadtentwicklung in den Mittelpunkt.

Prof. Dr. Anja Katharina Huemer von der Universität der Bundeswehr in München gab Antworten auf die Frage, warum das Miteinander von Motorisierten und Radfahrenden im Straßenverkehr manchmal so schwerfällt. Vordergründig, weil es einen Konflikt geben kann, wenn zwei Personen aufeinandertreffen und eine von beiden ihre Geschwindigkeit ändern muss, um eine Kollision zu vermeiden. Bei den tieferliegenden Ursachen geht es um das tägliche Erleben, um Einstellungen und Verhaltensweisen, die sich empirisch belegen lassen. Und darum, dass wir Menschen anderen oft Ursachen für ihre Handlungen zuschreiben, ohne ihre wahren Motive zu kennen, und dabei häufig Fehler machen.

Rolf Krücker, Richter a.D. am Oberlandesgericht, führte aus, dass etwa 90 Prozent aller Verkehrsunfälle auf bundesdeutschen Straßen außergerichtlich reguliert werden. Bei den restlichen zehn Prozent haben die Versicherungen Einwendungen der gegen sie erhobenen Ersatzforderungen. Komme beispielsweise ein Fahrradfahrer bei einem Zusammenstoß mit einem Pkw zu Schaden, so folge daraus nicht zwangsläufig seine volle Schadensersatz-berechtigung. Hat er nämlich fahrlässig den Schaden mit verursacht oder gar allein verschuldet, so muss eine Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile vorgenommen werden.

Prof. Dr.-Ing. Jürgen Follmann von der Hochschule Darmstadt vertrat den Standpunkt, dass das Leitbild der „Flüssigkeit und Leichtigkeit des Autoverkehrs“ der letzten Jahrzehnte und die damit verbundene Privilegierung nicht mehr in unsere Zeit passe. In den Städten müsse Mobilität neu gedacht werden zugunsten des Fuß- und Radverkehrs. Hieraus ergebe sich ein aktueller Anpassungsbedarf der Infrastruktur, der sich nicht an den Mindestwerten orientieren kann. Erforderlich sei eine Umverteilung der Verkehrsflächen, um für alle Gruppen sichere Verkehrsanlagen zu erreichen. Funktion, Planung und Gestaltung von Straßen sowie Geschwindigkeitsbeschränkungen müssten so aufeinander abgestimmt sein, dass menschliches Fehlverhalten ausgeglichen wird und Unfälle keine Todesopfer und Schwerverletzten mehr fordert – ganz im Sinne der Vision Zero: null Verkehrstote.

Sophie Kröling, Unfallforschung der Versicherer, widmete ihr Referat dem Thema „Radfahren im Kindesalter“. Sie erläuterte entwicklungspsychologische Erkenntnisse zu den verschiedenen Altersgruppen und zog die Schlussfolgerung, dass Kinder erst mit zwölf bis 14 Jahren Verkehrsregeln auf komplexe Situationen anwenden und ihre Aufmerksamkeit schnell zwischen verschiedenen Objekten ausrichten können. Aber auch in diesem Alter haben sie noch Schwierigkeiten, Geschwindigkeiten von Fahrzeugen richtig einzuschätzen und lassen sich durch Gleichaltrige oder Handys leicht ablenken, was sich leider auch in den Unfallzahlen zeige. Ein schulisches Fahrradtraining für die Zehn- bis 14-Jährigen könne helfen, die Verkehrssicherheit zu erhöhen.

Das Fazit der Fachtagung

Die Herausforderungen für die Zukunft des Radverkehrs bestehen darin, durch die Kombination aus planerischen, erzieherischen und rechtlichen Maßnahmen das steigende Unfallrisiko zu reduzieren und die Sicherheit des Radverkehrs dauerhaft zu verbessern. Dazu gehören eine radfreundliche und verkehrssichere Infrastruktur, die Einführung einer Regelgeschwindigkeit von 30 km/h innerorts und ergänzende verkehrspräventive Maßnahmen. Zur Erreichung dieses Ziels müssen alle im Land Verantwortlichen weiterhin engagiert und konstruktiv zusammenarbeiten.

Vorträge zum Download

Vom Draht-Esel zum Carbon-Bike        

Die Entwicklung des Fahrrades und seine Akzeptanz in der Bevölkerung

Gunnar Fehlau
pressedienst-fahrrad GmbH, Göttingen

Download Vortrag

Konflikte lösen und Unfälle verhindern

Fuß- und Radverkehr in der Stadt und auf dem Land: Regeln, Unfallsituationen

Roland Huhn 
Allgemeiner Deutscher Fahrradclub (ADFC)

Download Vortrag

Warum ist das Miteinander manchmal so verdammt schwer?

Einstellungen und Verhalten von Motorisierten und Radfahrenden

Dr. Anja Katharina Huemer 
Universität der Bundeswehr München

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Mobilität neu denken

Sichere Infrastruktur von morgen

Prof. Dr.-Ing. Jürgen Follmann
Hochschule Darmstadt

Download Vortrag

Rad und Risiko

Radfahren lernen im Kindesalter

Sophie Kröling 
Unfallforschung der Versicherer

Download Vortrag

Das Gericht hat das letzte Wort

Konflikte aus Sicht der Rechtsprechung

Rolf Krücker
Richter am Oberlandesgericht a.D.

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